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Berlin: 10 Jahre Grashüpfer im Treptower Park

Mit Brecht unter den Trollen

Wer ist keine Puppe? Sigrid Schubert (2.v.u.)

Wer ist keine Puppe? Sigrid Schubert (2.v.u.)
Fotos: Kay Michalak

16. May. 2007 (kg) – 

Das lange Leben von kleinen Puppen: Ganz sicher kommt Frau Holle wieder, der Troll arbeitet noch an seiner Form. Für Sigrid Schubert, Leiterin des Figurentheaters Grashüpfer, gehen ihre Stücke immer weiter, denn das Publikum wächst ständig nach.

Dass das kleine Häuschen im Treptower Park eine wundersame Parallelwelt beherbergt, ist ihm von weitem nicht anzusehen. Von bescheidenem Garagenformat, sieht es noch immer ein wenig nach dem Intershop aus, der es einmal war. Doch der bunte Schriftzug über dem Eingang und der große, etwas zerrupfte Hahnenkopf, der den Weg überwacht, sind äußere Zeichen dafür, dass hier etwas Kostbares gehegt wird. Wer keine Kinder hat, wird sich kaum hierher verirren, denn Puppentheater kommt im Erlebnishorizont Erwachsener fast nicht vor.

"Früher war das anders", sagt Sigrid Schubert, die Theaterleiterin, und meint damit die Zeit vor der Wende. "Natürlich hatten wir auch Stücke für Erwachsene. Ich hab' das hier dann noch eine Zeit lang versucht, aber - es ging einfach nicht. Und dann muss man das auch lassen."

Es gelingt ihr, solche Sätze ohne nostalgischen Anklang in den Raum zu stellen. Frau Schubert scheint zufrieden in ihrer Nische. Immer noch spielt sie ihre teilweise Jahrzehnte alten Stücke, für die sich immer ein neu nachwachsendes Publikum findet. Außerdem hat sie "Märchenabende am Feuer" ins Leben gerufen, an denen einfach "nur" erzählt wird. Dafür steht jetzt eine Jurte im kleinen Hof.

"Figurentheater Grashüpfer" hieß schon das Amateurtheater, das Sigrid Schubert in den Achtzigerjahren gründete. Am heutigen Standort dient es zehn verschiedenen Gruppen als feste Spielstätte. Hier wird ein Puppentheater gemacht, das über bloße Unterhaltung von Vorschulkindern hinausgeht. Die Puppen helfen vielschichtige und oft symbolgeladene Geschichten für Kinder verständlich zu erzählen, während ihr philosophischer Subtext auch die Eltern meint. Dieser Anspruch stammt noch aus Zeiten der DDR, die das Puppentheater als ernstzunehmende Kunstform gefördert und mit Leben gefüllt hat, nicht zuletzt durch den kulturellen Einfluss der osteuropäischen "Bruderländer". So entstand an der Ernst-Busch-Schule ein eigener Puppenspiel-Studiengang.

Doch auch Amateure wie Sigrid Schubert hatten am Aufschwung des Puppentheaters entscheidenden Anteil. Die ausgebildete Architekturmodellbauerin und studierte Informatikerin baute ihre erste Puppe in den Siebzigerjahren. "Das war ein kleines Teufelchen." Sie macht eine umfassende Handbewegung durch den Bastelraum des Theaters, in dem die meisten der verwuschelten, langnasigen oder spitzohrigen Puppen aus ihrer Hand stammen. Sie hatte damals, als sie am Rechenzentrum der Humboldt-Universität arbeitete, das Glück, an die "Volkskunstschule" delegiert zu werden, wo sie das Puppenspiel lernte. An der Uni gründete sie ihre erste Amateurgruppe. Ihr Stück "Frau Holle", das Sigrid Schubert auch jetzt noch jeden Winter vor fast immer vollem Haus spielt, stammt noch aus dieser Zeit. Es ist ein kleines Meisterwerk, in dem sie selbst als Frau Holle, "Mutter der vier Jahreszeiten", auftritt, Erzählerin und Spielerin in einem, die so gestreng wie gerecht ihre Geschöpfe führt.

Dies ist kein Illusionstheater, in dem die Puppen ein scheinbar unabhängiges Leben führen, sondern eines, das im reinsten brechtischen Sinne seine Verfahren offenlegt, indem die Puppenspielerin selbst fast durchgehend auf der Bühne präsent ist. Sie nimmt große Puppen für Szenen, die näher dran spielen, kleine für entfernte Szenen. Wenn Frau Holle da vorne, scheinbar für sich selbst, leise zu singen beginnt "Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder", und die Kinder im Zuschauerraum, auch nur so vor sich hin, leise in das Lied einfallen, offenbar vertraut mit dem Stück und ganz darin gefangen, dann sind das Momente von rarer Theatermagie.

Derzeit beschäftigt Sigrid Schubert die bevorstehende Wiederaufnahme ihrer von Tove Janssons Mumin-Büchern inspirierten "Trollmärchen". Wie fast alle ihre Stücke haben auch diese kleinen Geschichten verschiedene Metamorphosen hinter sich. Die Reaktion der Zuschauer gestalte ein Stück immer mit. Was sich nicht so leicht ändern lasse, sei jedoch die Formentscheidung für die Puppen, die zu Beginn einer Produktion getroffen werden muss. Auch eine gestandene Puppenspielerin wie Sigrid Schubert ist dabei noch immer nicht vor Überraschungen sicher. "Was ich vorher nicht wusste", sagt sie, "ist, dass diese Wankelpuppen, wenn man sie loslässt, so tot wirken." Sie stupst einen hübschen kleinen Troll in den Rücken, der sich leicht quietschend in seinem Scharnier verneigt und dann stehen bleibt, als sei er versteinert. "Aber jetzt gucken Sie mal hier", Frau Schubert nimmt einen kleinen weichen Sack in die Hand, der, mit Puschelschwanz und Knopfaugen versehen, ein Eichhörnchen vorstellt. Sie wirft ihn nur leicht auf den Tisch; und tatsächlich - auf einmal scheint es so quicklebendig dazusitzen, als warte es schon gespannt auf die nächste Vorstellung.


 

Katharina Granzin

 

 

Hinweis: Dieser Artikel ist erschienen in der taz, die tageszeitung, am 14.4.2007. Wir bedanken uns bei der taz, Katharina Granzin und Kay Michalak für die kostenlosen Veröffentlichungsrechte.

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