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Halle (Saale): Buchrezension "Volkstheater an Fäden"

Erst Massenmedium, dann Museum

Kasper an der Front - das war bestimmt lustig! Theaterzettel von 1925

Historische Marionetten in der Staatlichen Kunstsammlung Dresden

Metamorphosen

Buchdeckel: "Volkstheater an Fäden"

So sah es damals aus: Marionettenspieler mit Familie und Publikum (1937)

17. Jan. 2009 (dw) – 

255 Milliarden Mark dürfte die höchste Summe sein, die jemals ein Marionettentheater nachweisbar für eine einzelne Eintrittskarte erhalten hat. Das war 1923 in Sachsen. Statt Geld nahmen die Theaterleute damals auch gerne Naturalien. "Für drei Pfund Kartoffeln gab es ein Kinderbillett. So nahm Listner bei einer Vorstellung anderthalb Zentner Kartoffeln ein", berichten die Autoren Olaf Bernstengel und Lars Rebehn in ihrem Buch "Volkstheater an Fäden", das beim Mitteldeutschen Verlag erschienen ist.

Die beiden Autoren haben ein Buch über das Sächsische Marionettentheater geschrieben, das allein wegen der Dichte an Informationen einzigartig ist. Und obwohl oder vielleicht gerade weil es um Geschichte geht, ist dieses Buch so spannend. Brennend aktuell etwa ist das Kapitel zur Weltwirtschaftskrise von vor rund 80 Jahren.

Es gab nicht nur Verlierer. In den Inflationsjahren soll etwa drei Mal soviel Publikum die fahrenden Marionettenbühnen besucht haben wie in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg. "Ursache dürfte gewesen sein, dass die Leute in diesen schwierigen Zeiten Ablenkung suchten und dass niemand mehr sein Geld sparte", vermuten Theaterwissenschaftler Bernstengel und Wirtschaftswissenschaftler Rebehn.

In der Krise konnte man auch billig ganze Theater einkaufen. Die anderthalb Millionen Mark, die Kurt Listner 1923 für das auerswaldsche Theater zahlte, mögen sich viel anhören. Doch wegen der inzwischen galoppierenden Inflation war es dem neuen Besitzer ein leichtes, das geliehene Geld schnell zurückzuzahlen.

Heute kann man sich kaum vorstellen, was für ein Massenbetrieb Marionettentheater einst war. Vor hundert Jahren gab es allein im Land Sachsen etwa 150 umher reisende Marionettenbühnen. Sie spielten im Schnitt 140 mal, insgesamt 21.000 Mal im Jahr.

Die Erwachsenen waren bis zum zweiten Weltkrieg Hauptzielgruppe. Um 1900 besuchten knapp zwei Millionen Menschen die Vorstellungen der sächsischen Marionettenspieler im Jahr, die festen Theaterhäuser in den Großstädten erreichten lediglich anderthalb mal soviel Publikum.
Marionettentheater war Massenmedium. Damals gab es kein Internet, keine DVD-Player, kein Kino, kaum Telefon.

Die Autoren haben im Archiv der Dresdner Puppentheatersammlung Reisebücher, Konduitenhefte und vor allem Geschäftsbücher gefleddert, davon teilweise mit mehr als 10.000 Einzelbelegen. Dabei stellten sie fest, dass die Reisetheater nicht nur außerordentlich populär waren, sondern betriebswirtschaftlich überdurchschnittlich erfolgreich. Während ein Industriearbeiter Anfang des 20. Jahrhunderts im Jahr etwa 1.400 Mark verdiente, konnten es Marionettenspieler auf gut 1.800 Mark bringen. Das sind knapp 30 Prozent mehr. Der Erfolg hatte auch mit Ideenreichtum zu tun. Marionettentheater veranstalteten reine Grammofonabende. Ein Theater zog nenbenbei mit einer Schießbude, ein anderes mit einem transportablen Kinematografen umher.

Das ist alles Schnee von gestern. Wie wir wissen bewegt sich Marionettentheater heute am Rande der Bedeutungslosigkeit. Der Untertitel des Buchs heißt nicht zufällig: "Vom Massenmedium zum musealen Objekt".
Warum es so kam, beschreiben die beiden Autoren ebenfalls sehr genau und vor allem widmen Sie sich auch diversen politischen Versuchen, dem Marionettentheater das Leben absichtlich und fahrlässig künstlich schwer zu machen.

Erst etwa hatten die Nazis nichts übrig für Figuren an Fäden, später mussten die klapprigen Holzgestelle an die Front. Der gemeine Soldat sollte auch mal was zu lachen haben. Die DDR wiederum hatte bekanntermaßen Schwierigkeiten mit allem, was sich nicht so ohne weiteres kontrollieren ließ. Das Marionetten spielende Fuhrgewerbe war für eine effektive Kontrolle anfangs viel zu schlecht organisiert.

Das Autoren-Duo schafft es mit seinem Buch, Leser in eine Welt eintauchen zu lassen, die vor noch gar nicht langer Zeit ganz anders war. Dass dieses 300 Seiten dicke Vergnügen mit 24,90 EUR viel zu billig ist, verdanken wir der Sächsichen Landesstelle für Museumswesen und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die als Herausgeber das wissenschaftliche Projekt kräftig subventioniert haben.

 

Dirk Wildt

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