Rundbrief der Unima Österreich

... eine Stunde nur Perversitäten

Die Unima Österreich bespricht in ihrem aktuellen Rundbrief unter anderem Festivals aus dem Herbst des vergangenen Jahres. Gerlinde Persché schreibt über das Festival "Mezinarodni Festival Divadlo" in Pilsen/Tschechien (14. bis 22. Sep. 2005) unter anderem:

... In Pilsen wollte ich natürlich unbedingt nur Puppentheater sehen. Es gab an diesem Wochenende zwei zur Auswahl:
Die 120 Tage des Marquis de Sade / Budapester Puppentheater – Robert Vörös, Regie: Robert Alfödi, Design & Puppen: Szilard Boraros, Kostüme: Andrea Bartha Spieler: Gergö Kaszas, Robert Alföldi, Gabor Czipott, Bela Csajaghy, Henrik Gyurko, Edina Ellinger, Norbert Acs, Zsolt Csak, Istvan Kemeny, Csaba Teszarek. Dauer 1 Std. 20 Min.

Was soll ich dazu sagen? Ich bin nicht heikel und als Marktfahrerin habe ich auch manch derben Witz und Zoten über mich ergehen lassen und auch noch lachen können. Aber über eine Stunde NUR Perversitäten auf der Bühne, das ist denn doch zuviel. Man dürfte so ein Stück gar nicht umsetzen. Wer"s lesen will soll"s und seinen Spaß daran haben. Im Nachhinein tut es mir leid, dass wir erst so spät diese Vorstellung verlassen haben – wir hätten früher ein Zeichen setzen sollen. Erst als die Sch... auf Teller serviert wurde und die Tafelrunde sich daranmachte diese zu essen – sind wir aufgestanden und gegangen. Es war aber vorher auch nur grauslich. Wem einfällt, solch ein Stück zu inszenieren der ist selbst perv... Auf solchen Festivals glaubt man natürlich wahnsinnig IN zu sein, wenn man solche Scheußlichkeiten bringt. Das Publikum hat es auch angenommen – ausverkauft, es mussten sogar noch Sessel in diesen riesigen Theatersaal des Puppentheaters ALFA gebracht werden.

Die zweite Auswahl war vom Naivni Divadlo aus Liberec: Der hübsche Feuerwehrmann oder der Brand des Nationaltheaters.
Regie: Tomas Dvorak, Design: Ivan Nesveda, Musik: Vratislav Sramek,
Repetiteur: Miroslav Osanec, Video: Petr Valek, Dram.Assistenz: Vir Perina.
Es spielt die Besetzung des Naiven Theaters aus Liberec, Dauer: 2 Stunden 20 Minuten

Das Stück ist tschechisch-national geprägt und läßt sich schwer übersetzen – oder verstehen. Das Nationaltheater in Prag wurde gebaut und im ganzen Land wurden Spenden dafür gesammelt – nur Liberec/Reichenberg hatte ja ein eigenes Theater und wollte nach Prag kein Geld geben, dafür ist dieses Stück nun ein Ausgleich. Das Prager Nationaltheater wurde also mit viel Mühen und Aufwand und Gegenstimmen aus dem Volke gebaut und ist einige Wochen nach der Eröffnung abgebrannt. Hier handelt das Stück der Liberecer. Ein Feschak von einem Feuerwehrmann (er bekommt ein Kind nach dem anderen) erlebt den Bau und den Brand – auch wir erleben alles mit. Im Übrigen ist das Nationaltheater dann nach dem Brand wiedererstanden und man sieht es in der heutigen Form. Alle Fehler (Technik, etc.) hat man dabei ausgemerzt.

Ein schönes Stück – wie man es vom Naiven Theater aus Liberec gewöhnt ist. Gute Ideen (ich denke an das allgemeine Volk, oder an den Bau des Theaters), schöne, eindrucksvolle Marionetten, die sehr gut wirken. Wie immer gut gespielt.

Ich würde sagen – rundum ein gelungenes Stück. Über 2 Stunden leicht erträglich – das spricht für die Güte! Die Sprache sollte man können. Leider kann ich"s auch nicht, aber ich habe mich trotzdem nicht fadisiert, weil ich mir bei den zahlreichen internationalen Festivals angewöhnt habe, auf andere Dinge zu schauen. Und auch hier kommt man auf seine Rechnung. Mein Mann hat sich von Stan Doubrava den Text schicken lassen – er ist der Sprache mächtig und will natürlich die besonderen Gags verstehen. Also – wieder einmal eine herrliche Aufführung des Naiven Theaters aus Liberec! Danke! ...

Gerlinde Persché